Dr. Jörg Brün
Wildtier Populationsökologie - Fortpflanzungserfolg, Verwandtschaftsbeziehungen und Verwandtenselektion beim Wildschwein, Sus scrofa
Hintergrund
Die gängige Annahme, dass Wildschweinrotten sich ausschließlich aus nahe
verwandten Individuen zusammensetzen, basiert auf der Beobachtung, dass
männliche Tiere mit Erreichen der Geschlechtsreife die Rotte verlassen,
während weibliche Tiere in der Rotte verbleiben.
Selbst wenn alle Adulten einer Wildschweinrotte sich ausschließlich aus
den weiblichen Nachkommen einer Ursprungsmutter und deren direkten
Nachkommen rekrutieren, so ist es doch unwahrscheinlich, dass alle von
dem selben genetischen Vater abstammen, auch wenn dies in seltenen
Fällen auftreten kann. Viel häufiger und wahrscheinlicher dürfte es
sein, dass sie Nachkommen verschiedener Väter sind. So werden sich schon
nach wenigen Generationen, je nach Anzahl genetischer Väter und
Häufigkeit deren Auftretens, unterschiedliche Verwandtschaftslinien
innerhalb einer Gruppe direkter Nachkommen einstellen. Wie viele
männliche Tiere beim Wildschwein an der Reproduktion beteiligt sind, ist
bislang ebenso wenig bekannt, wie deren durchschnittlicher
Fortpflanzungserfolg oder die Lebenszeitspanne, in der sie am
Reproduktionsgeschehen teilhaben.
Auch die Frage, in welchem Maße einzelne weibliche Individuen oder
Gruppen zum Reproduktionserfolg beitragen und ob es einen Zusammenhang
zwischen dem Verwandtschaftsgrad und dem Reproduktionserfolg gibt, ist
bislang unbeantwortet.
Genotypisierungen mittels Mikrosatelliten sind ein geeignetes Verfahren
um die Identität eines Tieres zu bestimmen. Sie werden in großem Umfang
in der Tierzucht und erfolgreich bei verschiedenen Artenschutzprojekten
eingesetzt. Mit Hilfe geeigneter Algorithmen lassen sich coputergestützt
aus einer großen Menge genotypisierter, unbekannter Individuen
Elternschaften zuordnen und Verwandtschaftswahrscheinlichkeiten
berechnen. Diese Verfahren ermöglichen es, die
Verwandtschaftsverhältnisse einer Population zu analysieren und den
individuellen Reproduktionserfolg einzelner Tiere zu bestimmen.
Gegenwärtige Arbeiten:
Mittels Mikrosatellitenanalysen wird die genetische Identität aller im
Wildforschungsgebiet bei der Jagd zur Strecke gekommener oder
verunfallter Tiere durch die Entnahme einer Gewebeprobe festgestellt.
Weitere biometrischen Daten wie Altersklasse, Größe, Gewicht,
Geschlecht, besondere Merkmale sowie der Ort der Erlegung, werden als
zusätzliche Information aufgenommen.
Ziele
Folgende Fragen stehen zur Zeit im Mittelpunkt des Interesses:
-
Welche Individuen tragen zur Reproduktion bei?
Gibt es einzelne Tiere, die im besondern Maße zum Reproduktionsgeschehen beitragen (z. B. alte Keiler oder einzelne Bachen) und in welchem Maße sind Jungtiere selber bereits Elter? -
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem Verwandtschaftsgrad und dem Reproduktionserfolg?
Gibt es Hinweise auf Bevorzugung oder Vermeidung von Verpaarungen Verwandter, wenn eventuell immer wieder die gleichen Elterntiere Nachkommen zeugen, z. B. wenn es nur wenige Väter, sprich alte Keiler, in der Population gibt? -
Welchen Einfluss hat die Jagdausübung auf die Population?
Wie groß ist der Anteil der Population, der nicht durch die Jagd zur Strecke kommt und welchen Einfluss hat dies auf die Populationsstruktur? Durch Mikrosatellitenanalysen lässt sich feststellen, welche parentalen Genotypen fehlen und somit durch die Jagd nicht erfasst werden konnten. Fraglich ist, ob dadurch eine Verschiebung in den Allelfrequenzen verursacht wird, was eventuell durch die Gruppe der schwer zu bejagenden älteren Keiler hervorgerufen werden könnte.